Hans-Georg Jakobson: Sein letzter Sommer in Strausberg

Vor 30 Jahren wurde Hans-Georg Jakobson von Neonazis ermordet

Vor dem Bahnhof Strausberg wurden Blumen niedergelegt. Antifaschistische und zivilgesellschaftliche Initiativen erinnerten damit Ende Juli an ein Opfer rechter Gewalt: Hans-Georg Jakobson. In der Nacht vom 28. auf den 29. Juli 1993 saß der 35-jährige Jakobson schlafend in der S-Bahn Richtung Strausberg, als drei Neonazis den Waggon betraten. Sie waren bekannt dafür, dass sie Menschen, die sich nicht wehren konnten, schlugen und ausraubten. Nachdem sie bei dem schlafenden Jakobson keine Beute gefunden hatten, schlugen sie ihn und warfen ihn kurz vor der Station Petershagen aus der fahrenden S-Bahn.

Jakobson war noch bei Bewusstsein, als er gefunden wurde und konnte Angaben zum Tathergang machen, bevor er an den schweren Verletzungen durch den Sturz starb. Die Tat fand für kurze Zeit mediale Aufmerksamkeit. Doch der rechte Hintergrund wurde dabei weitgehend ausgeblendet. So schrieb die »Bild« unter dem Titel »Tod eines Bäckers« über das Opfer: »Job weg, Wohnung weg, Frau weg – dann kamen die S-Bahn-Mörder«. Dabei war der Neonazihintergrund des Trios schon damals bekannt. Nachdem sie Jakobson aus der S-Bahn geworfen hatten, raubten sie zwei weitere Passanten aus. Die informierten die Polizei, die die Täter festnahm und auch schnell die Verbindung zu den Toten auf den Gleisen herstellen konnte.
30 Jahre später wird nun an das lange vergessene Opfer rechter Gewalt erinnert. In einer Broschüre, die von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland, dem Humanistischen Regionalverband Märkisch-Oderland, der S5-Antifa und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA) Märkisch-Oderland erstellt wurde, gehen die Verfasser auf die Neonazistrukturen ein, in denen das Trio agierte. Die Täter wurden 1994 zu Haftstrafen zwischen sechs und acht Jahren verurteilt und wurden im Gefängnis von rechten Unterstützerstrukturen betreut. Auch nach ihrer Haftentlassung waren sie weiter im rechten Milieu aktiv.

Die Broschüre zeigt auch einen Überblick über die Neonazi-Organisationen der letzten 30 Jahre in Strausberg und Umgebung. Zu diesen Gruppen gehörte etwa die 1998 von einem der Täter nach der Haftentlassung gegründete Alternative Nationale Strausberg – Dart-, Piercing- und Tattoo-Offensive» (ANS-DAPO). Diese Organisation wurde 2005 wegen ihrer geistigen Nähe zum Nationalsozialismus vom Bundesinnenministerium verboten.

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Im Gespräch mit «nd» betonen die Antifaschist*innen, dass sie mit der Broschüre die Diskussion um das Gedenken an Hans-Georg Jakobson anregen. Er ist offiziell noch immer nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt. Für die Behörden gilt sein Fall als Raubüberfall mit Todesfolge. Die Gedenkinitiative fordert einen Gedenkort für Jakobson auf dem Bahnhofsvorplatz von Strausberg. Mit ihrer Broschüre liefern sie eine erste Grundlage für die Diskussion.

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175350.rechte-gewalt-hans-georg-jakobson-sein-letzter-sommer-in-strausberg.html

Peter Nowak

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passiert am 07.08.2022